C.S.MAHN
 Autor

Chroniken der Nacht - BLUTDURST

 Blut bedeutet Leben. Blut bedeutet Liebe. Blut bedeutet Tod.



»Als er zu ihr hinüber blickte und sich ihre Augen trafen, da schien für einen Moment die Zeit still zu stehen und ein berstender Blitz erfasste Violet und setzte jedes ihrer Moleküle unter Strom. Eine bebende Erkenntnis erfasste sie und ließ ihre Welt in einer Welle aus Blut ertrinken. Jetzt wusste sie, wer dieser diffuse Mann aus ihren Träumen war.«

Seit Wochen herrscht eine erbarmungslose Hitzewelle in Los Angeles. Auf dem Heimweg gerät Violet in einer einsam gelegenen Raststätte in einen Streit. Ein Messer wird ihr in den Hals gerammt und sie bleibt in der Dunkelheit zurück. Alleine und so gut wie tot. Doch dann taucht ein Fremder auf und gibt ihr von seinem Blut zu trinken. Violet überlebt. Wochen später ist von der tödlichen Wunde nicht mal eine kleine Narbe geblieben. Doch Violet beginnt sich zu verändern. Erinnerungen, die nicht ihre sind, erwachen zum Leben und reißen sie in einen Strudel aus Blut, Leidenschaft und düsterer Sehnsucht. Als dann ihr unbekannter Lebensretter auftaucht, fühlt sie sich unbändig zu ihm hingezogen.

Eine Geschichte voller Blut, Schmerz und düsterem Verlangen nimmt ihren Lauf.



LESEPROBE:

Wiedergeboren

Im Scheinwerferlicht vor ihr tauchte ein blaues Straßenschild auf. Die Konturen einer Raststätte schälten sich aus dem gleißenden Licht mehrerer Halogenstrahler. Violet drosselte die Geschwindigkeit ihres Wagens, setzte in Gedanken versunken den Blinker und fuhr über die Ausfahrt vom Highway hinunter. Durch eine Allee von freien Parkflächen, die rechts und links ihren Weg säumten, näherte sie sich dem kastenförmigen Flachdachgebäude, das wie die Kulisse einer Raumstation wirkte. Um diese nachtschlafende Uhrzeit war auf dem weitläufigen Parkplatz nur noch ein weiteres Auto zu sehen. Ein dunkelblauer Jeep mit schwarzem Verdeck. Violet parkte ihren Wagen, stellte den Motor ab und ließ den Blick durch die Dunkelheit schweifen. Es gab vier Zapfsäulen auf zwei Inseln. Nachtschwärmende Motten flatterten verwirrt um einen Laternenmast. Violet stieg aus. Trotz der Nacht war es immer noch verdammt heiß. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Vakuum aus Hitze zu befinden. Ein schwerer Truck donnerte hinter ihr über die staubige Straße und zog einen heißen Luftzug hinter sich her. Während Violet ihm nachblickte, ergriff sie ein unwirkliches Gefühl, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Während sie zwischen den Zapfsäuleninseln hindurch schritt, war sie froh, keine Schuhe mit Absätzen zu tragen und so kein auffälliges Klackern zu verursachen. Sie hasste es, Aufmerksamkeit zu erregen. Erst recht an einsamen unheimlichen Orten wie diesem. Violet suchte nach der Damentoilette, denn ihre Blase war bis zum Rand gefüllt mit Pfirsicheistee und stand seit etwa zwanzig Meilen kurz vor dem Zerbersten. In solchen Momenten wünschte sie sich ein Mann zu sein. Einen Penis zu haben machte manches erheblich einfacher in diesem Leben. Sie dachte an Carter, ihren Freund. Sie hatten sich jetzt Wochen nicht gesehen. Carter war ein Cop und auf Fortbildung in Oregon. In wenigen Tagen würde er zurückkehren. Seine Versetzung stand bevor und bald würden sie LA verlassen, um ein neues gemeinsames Leben zu beginnen. Fernab dieses ruhelosen Sündenpfuhls.

Violet passierte eine Verkaufstheke mit mehreren Werbeartikeln und Aufstellern in denen Broschüren über touristische Attraktionen von Los Angeles auslagen. Hinzu kamen Getränkeautomaten, Vitrinen mit überteuerten Kuchen und Sandwiches, sowie einem Wühltisch mit billigen Plüschtieren aus China. Violet blickte auf eine Wand, an der Plakate von vermissten Menschen hingen. Sie mochte es nicht, wie die Augen der Menschen sie anstarrten, so als ob ihre Seelen um Hilfe rufen würden. Es lief ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter, als sie darüber nachdachte, wie viele von diesen Menschen möglicherweise bereits tot waren und nie wieder auftauchen würden. Als sie in das Speiseabteil der Raststätte gelangte, sah sie einen Mann und eine Frau an einem der Tische sitzen. Sie hörte eine vom Hall verzerrte Frauenstimme. Und diese Stimme klang erschreckend aufgeregt.

»Bitte Liebling - bitte nicht!«

Es folgte ein peitschendes Klatschen und ein schmerzerfülltes Stöhnen. Obwohl Violet nicht genau sehen konnte, was dort vor sich ging, war ihr sogleich klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Instinktiv duckte sie sich hinter eine der Sitzbänke und lugte um die Ecke. Sie sah, wie die Frau sich ihre Wange hielt, auf der sich ein großer roter Fleck abzeichnete. Außerdem hatte sich Blut an ihrer aufgeplatzten Unterlippe gesammelt. Ihr starrer und angsterfüllter Blick sah zu Boden, während eine Träne ihr geschundenes Gesicht hinunter rollte. Der Mann blickte auf die Frau nieder, seine Augen schienen in Flammen zu stehen. Violet standen die Nackenhaare zu Berge. Sie glaubte, in ihrem Leben noch nie eine derartig ausgeprägte Gänsehaut gehabt zu haben.

»Du lässt mich nie wieder so dumm aussehen, hast du verstanden?«, raunzte die Stimme des Mannes durch die menschenleere Raststätte. Violet hörte das der Mann aggressiv und betrunken war und sie spürte, dass die Frau panisch und verzweifelt war. Sie zog sich in die Essecke zurück und wartete, während sie ihr pochendes Herz fühlte, und hoffte, dass sich die Situation möglichst friedlich bereinigen würde. Natürlich war dies ein Irrglaube und Violet war sich dessen auch bewusst. Aber hoffen durfte sie doch wenigstens. Ein weiterer dumpfer Schlag ließ sie erschaudern. Sie zuckte zusammen und hielt den Atem an. Dann ertönte die Stimme des betrunkenen Mannes erneut.

»Ich hab die Schnauze voll von dir. Hast du mich verstanden, du miese kleine Schlampe?« Er lachte, während sie wimmernd die Hände vors Gesicht hielt und ein weiterer donnernder Hieb ihren Schädel erzittern ließ. Hatte die junge Frau zuvor noch versucht, die Contenance zu wahren, so konnte Violet jetzt deutlich ihr Weinen vernehmen. Sie verstand zwar nicht, was sie sagte, aber Violet konnte sehen, dass sie ihren gewalttätigen Freund regelrecht anflehte. Violet empfand Mitleid und Wut. Sie wusste, dass die flehenden Worte der Frau die Sache nur noch schlimmer machten. Männer wie dieser Kerl verfügten über keinerlei Empathie, wenn sie einmal Blut gewittert hatten, dann waren sie wie ein ausgehungerter Wolf, der nur noch seinen Instinkten folgte.

»Du tust mir weh«, hallte die zitternde Stimme der Frau durch die Raststätte.

Der Mann holte ein weiteres Mal aus und die Außenseite seiner Hand traf die Frau so hart, dass sie umfiel und mit dem Kopf auf die Kante des Tisches knallte. Violet empfand für den Bruchteil einer Sekunde den starken Impuls einfach hinüber zu eilen, um der Frau zu helfen, doch dann blickte sie in die Augen des Mannes und die Gänsehaut kehrte zurück. Der Mann sah auf sein Werk blinder Brutalität hinab und aus seinen Augen sprach nichts als Teilnahmslosigkeit. Er schien keinerlei Mitgefühl für die blutende Frau zu haben, die er soeben niedergeschlagen hatte. Ganz im Gegenteil: Ihr Anblick schien ihn förmlich anzuheizen, während er den schimmernden Tropfen Blut an der Unterlippe der Frau fixiert hatte.

Was soll ich jetzt nur tun?, ging es Violet durch den Kopf. Sie konnte nicht einfach tatenlos zusehen. Dieser Kerl würde die Frau noch umbringen, das traute sie ihm ohne weiteres zu. Eigentlich hatte sie nur in aller Ruhe pinkeln wollen und jetzt befand sie sich in einem Showdown auf Leben und Tod. Plötzlich fiel ihr auf, dass ihre Blase nicht mehr drückte. Der Schreck, der in ihre Glieder gefahren war, hatte wohl sämtliche Flüssigkeit auf magische Weise entweichen lassen. Sie blickte an sich hinunter, um sich zu überzeugen, dass sie nicht in die Hose gemacht hatte. Es waren keine dunklen Urinflecken zu sehen. Jetzt konnte sie sich wieder um die Rettung dieser Frau kümmern. Sie beobachtete, wie der brutale Schläger sich ein Päckchen Zigaretten aus seiner ausgebeulten Hemdtasche fischte und eine Kippe anzündete. Plötzlich glaubte sie, so etwas wie eine Gefühlsregung in seinen Augen erkennen zu können. Hatte sein Blick eben noch beängstigend abwesend gewirkt, so schien nun so etwas wie Reue darin zu glimmen. Jetzt wirkte er fast wie ein ganz normaler Typ. Ein Typ, der die Kontrolle über sein Leben verloren hatte. Ein Typ, der die Schule abgebrochen hatte, der keine angenehme Kindheit gehabt hatte und der sich mit einem unterbezahlten Job versuchte, irgendwie durchs Leben zu schlagen und sich an den Abenden in die verdrängende Welt des Alkohols flüchtete. Dies alles glaubte Violet für einen Moment in seinem geröteten Gesicht zu erkennen und dennoch rechtfertigte dies nicht, was er seiner Freundin angetan hatte.

Während er an seiner Zigarette zog, wanderte der grobschlächtige Kerl nervös auf und ab. Unter seinen Hemdsärmeln waren Schweißränder zu erkennen. Auch an seinem Haaransatz hatten sich Schweißperlen gesammelt. Die Haare waren fettig und von Schuppen durchzogen. Violet stellte sich vor, wie er als Kind in der Schule von seinen Mitschülern gehänselt worden war, wie sie ihn in der Kammer des Hausmeisters eingesperrt und den Schlüssel weggeworfen hatten. Sie schüttelte den Kopf. Sie durfte seine Vergangenheit nicht mit der ihren gleichsetzen. Dieser Typ hatte ihr Mitleid nicht verdient. Er war ein brutaler Schläger und sie musste ihn irgendwie aufhalten. Seit sie seine raunzende Stimme das erste Mal durch die leergefegte Raststätte hatte bellen hören, waren erst wenige Minuten verstrichen und dennoch kam es ihr vor, wie eine halbe Ewigkeit. Violets Aufmerksamkeit wurde von schreienden Rufen der zierlichen Frauenstimme erregt. Die Frau rannte auf ihren Stöckelschuhen und in einem Minirock zu den Toiletten, wo sie sich in einer der Kabinen verbarrikadierte. Der Mann folgte ihr gelassen.

»Verschwinde einfach Jerry, ich lass mich von dir nicht mehr herumschubsen. Hörst du – nie wieder!«

Wäre die Situation nicht so verdammt brenzlich gewesen, hätte Violet schmunzeln müssen. Herumschubsen war wohl eine kleine Untertreibung. Dennoch sagte es viel über die Beziehung der beiden aus. Jerry konnte seine Freundin grün und blau schlagen und sie sprach davon herumgeschubst zu werden. Jerry war im Übrigen ein recht unpassender Name für einen Schläger. Spike hätte doch viel besser gepasst, ging ihr durch den Kopf. Violet kam in den Sinn, die Raststätte einfach zu verlassen. Auf die Toilette musste sie jetzt ohnehin nicht mehr. Sie könnte dieses Ereignis einfach als einen schlechten Traum betrachten. Träume kamen und gingen und irgendwann vergaß man sie einfach. So würde es ihr sicher auch ergehen, sie würde das alles hier einfach vergessen. Doch was, wenn sie am nächsten Tag in der Zeitung oder im Internet lesen sollte, dass eine tote Frau windelweich geprügelt auf einer Toilette in einer Raststätte gefunden worden sei? Was dann? Konnte sie damit leben?       

Jerry reichte es – endgültig. Er würde dieser Schlampe eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergessen sollte. Er war bereit, sie an den Haaren zu packen und mit dem Kopf gegen die Fliesen zu donnern. Seine Wut ließ ihn nicht mehr klar denken. Alles was er wollte, war es zu zerstören, zu verletzen und zu vernichten. Diese kleine Hure hatte ihn ein letztes Mal an der Nase herumgeführt. Er rief sich in Erinnerung, wie sie mit diesem Typen aus dem Supermarkt geflirtet hatte. Wie sie ihn angelächelt und über seine Scherze gelacht hatte. Er hatte es zwar nicht gesehen, aber bestimmt hatte sie ihm ihre Nummer gegeben und bei nächster Gelegenheit würde sie hinter seinem Rücken mit diesem Kerl telefonieren und darüber scherzen, dass der dumme Jerry nicht mitbekäme, dass sie mit einem anderen Mann ins Bett steige. Jerry konnte ihr hämisches Gelächter förmlich in seinen Ohren hören. Mit jedem Mal, wo ihre lachende Stimme in seinem Gehörgang klingelte, trat er donnernd gegen die Kabinentür der Toilette. Die Kabine erbebte unter seinen Tritten und die Frau schrie nun regelrecht um ihr Leben: »Bitte Jerry, bitte nicht! Es ist doch nichts passiert. Der Mann hat mich doch nur nach der Milch gefragt!«

»Ach ja – nach der Milch hat er dich also gefragt?«, rief Jerry. »Und da hast du dir gedacht, du bläst ihm so lange einen, bis er dir seine Milch ins Gesicht spritzt?!«

»Was?«, der Frau fehlten mittlerweile völlig die Worte, Jerry schien seinen Verstand nun vollends in Alkohol ertränkt zu haben. »Bitte Jerry, ich hab nichts dergleichen getan oder gedacht. Warum gehen wir nicht einfach nach Hause und vergessen das alles hier? Ich liebe dich doch.«

»Liebe? Warte nur ab, ich werde dir gleich Liebe in deinen verdammten Nuttenkörper prügeln.« Jerry trat so fest gegen die Kabinentür, dass die Verankerung bedrohlich wackelte und seiner Freundin ein spitzer von Panik durchdrungener Schrei entfuhr.  

»Hey, du dummes Arschloch!«, hallte eine weitere Stimme durch die Toiletten. Jerry glaubte zunächst, er verliere nun völlig den Verstand, ehe er realisierte, dass diese Stimme einem echten Menschen gehörte. Er blickte sich um und sah Violet direkt in die Augen.

Violet glaubte, zu Eis zu erstarren, doch nun gab es kein Zurück mehr. Sie hatte die Bestie geweckt und musste mit deren Echo leben.

»Verdammte Scheiße, wer bist du denn?«, fragte Jerry überrascht und gleichzeitig belustigt.

»Wer ich bin, geht dich einen verfickten Scheiß an!«, entgegnete Violet so entschlossen und aggressiv wie es ihr nur irgend möglich war. Ihr Herz raste und ihre Hände kribbelten vor Aufregung. Adrenalin rauschte unermüdlich durch ihre Adern. Ihre Pupillen hatten sich geweitet und sie war bereit. Bereit, für was auch immer gleich folgen sollte. Jerry strich sich durch die schweißdurchsetzten Haare und fischte eine weitere Zigarette hervor, die er sich erst einmal in aller Ruhe ansteckte. »Hör mal zu Schätzchen«, murmelte er, während die Kippe in seinem Mundwinkel steckte, »ich weiß nicht, wer du bist, und es ist mir auch eigentlich scheißegal, aber wenn du dich in Angelegenheiten einmischst, die dich nichts angehen, dann muss dir mal jemand beibringen, dass sich so etwas nicht gehört.«

»Und dieser jemand bist also du? Na dann versuch es doch!« Violet machte kehrt und verließ schnellen Schrittes die Toilette. Sie wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte, aber sie wollte diesen Dreckskerl von seiner geschundenen Freundin weglocken. Wie sie ihn dann aber loswerden wollte, soweit war ihr Plan nicht gegangen. Sie versteckte sich zwischen den Sitznischen im Essbereich der Raststätte und hoffte, Jerry würde sie nicht finden. Sie dachte an Carter, wie sehr sie ihn liebte und sich darauf freute ihn endlich wieder in ihre Arme schließen zu können. Sie lauschte in die Dunkelheit. Es war ruhig geworden. Keine Schreie und keine Schritte waren mehr zu hören. Hatte Jerry das Weite gesucht? Violet wollte es nicht darauf ankommen lassen. Sie griff sich ihr Handy und checkte das Netz. Ein Balken war in jener gottverlassenen Einöde verfügbar. Sie hoffte, es würde genügen, um die Polizei zu verständigen. Als Violet gerade den Notruf auf ihrem Handy tippen wollte, bekam sie von hinten einen kräftigen Stoß versetzt. Sie stolperte und flog gegen die Kante eines Tisches. Ihre Stirn knallte so stark gegen die Tischplatte, dass ihr augenblicklich die Luft wegblieb. Benommen blieb sie liegen.

Still, atemlos, hilflos.

Sie griff an die Tischplatte, gegen die sie geknallt war und zog sich hoch. Als die Spinnweben in ihrem Kopf sich zu lichten begannen und Violet sich in der Dunkelheit der Raststätte versuchte zu orientieren, stand Jerry plötzlich direkt hinter ihr. Seine Augen funkelten begierig in der Dunkelheit und für den Bruchteil einer Sekunde hatte Violet den Eindruck, sie würden rot glühen. Jerry grinste sie verstohlen an und als Violets Blick an ihm herunterwanderte, sah sie, dass er sich ein Klappmesser von der einen in die andere Hand zuwarf und wieder zurück. Violet hatte ein beklemmendes Gefühl, als Jerry ihr einen Schritt näher kam. »Ich hab solchen Durst«, flüstere er. Violet wusste nicht, was er damit meinte. Sie kam nicht einmal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Jerry rammte ihr das Klappmesser in den Hals. Zunächst realisierte Violet gar nicht wirklich was geschehen war, sie hatte nur das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie griff sich an den Hals. Das Messer steckte noch darin. Jetzt wurde ihr mit der Stärke eines Hammerschlags bewusst, was soeben geschehen war. Etwas Warmes und Klebriges sprudelte an den scharfkantigen Seiten der Klinge aus ihr heraus. Schmerz setzte ein, intensiv und gnadenlos. Ein pulsierendes Brennen, das sich von ihrem Kopf aus im ganzen Körper ausbreitete. Violet starrte mit aufgerissen Augen vor sich, taumelte nach hinten und sackte zusammen. Keuchend und nach Luft ringend lag sie auf dem kalten dreckigen Boden der Raststätte. Todesangst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie versuchte, die Wunde zuzuhalten, und fühlte nichts als warme Feuchtigkeit. Sie versuchte zu sprechen und um Hilfe zu rufen, doch ihre Worte waren nur noch ein gurgelndes Keuchen. Fontänen von Blut spritzten zwischen ihren Fingern hindurch und verteilten sich auf dem dreckigen Boden der Raststätte. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Hals schoss, doch das was viel schlimmer war, war ihr schwindendes Bewusstsein, das sich langsam wie ein sinkender Vorhang über sie stülpte. Jerry stand immer noch vor ihr und als er sich zu ihr hinunter beugte und Violet wieder das rote Glühen in seinen Augen zu erkennen schien, da bäumte sich ein dunkler Schatten hinter Jerry auf. Violet schloss die Augen und zitterte vor Schmerzen. Es war still und sie hörte nur noch ihren eigenen röchelnden Atem. Und als sie glaubte, sie sei in der Welt auf der anderen Seite, oder zumindest auf dem Weg dahin, da ergriff etwas ihre Hand. Sie fühlte die Berührung von Haut und wollte sich umsehen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie hörte eine Stimme, die von unendlich weit herzukommen schien.

»Keine Angst, du bist jetzt in Sicherheit.«

»Es tut so weh«, sagte sie brüchig.

»Es wird gleich vorbei sein«, sagte die Stimme. Sie klang wie kaltes klares Wasser. Tief und undurchdringlich. Violet versuchte zu erkennen, wer da neben ihr hockte und ihre Hand hielt, doch sie sah alles nur verschwommen. Wer es auch war, es war ihr Retter in der Not. Er musste Jerry irgendwie aus dem Weg geräumt haben und versuchte nun ihr beizustehen. Doch Violet befürchtete, dass dieses edle Anliegen vergebens sein würde. Sie glaubte, auf dem kalten Boden jener verkommenen Raststätte sterben zu müssen. Sie fühlte, dass es zu Ende ging. Klar und ohne Zweifel.

Dann hörte sie ein schmatzendes Geräusch und ein leises Ächzen. »Hier - trink das«, drang die Stimme des Fremden in die geräuschlose Dunkelheit. Violet leistete keine Gegenwehr, sie öffnete ihren Mund einen Spalt und hatte selbst dafür kaum noch Kraft übrig. Dann fühlte sie, wie etwas Feuchtes über ihre Lippen kam und sie schmeckte den metallenen Geschmack von ... Blut.

Zunächst ekelte sie sich für einen kurzen Moment und musste würgen, doch dann schien es kaum noch von Bedeutung zu sein. Sie glaubte zu sterben, was machte es da schon aus, das Blut eines Fremden zu trinken?

Und so trank sie. Und sie trank und trank und trank.

Langsam schienen sich ihre Sinne wieder zu schärfen. Jetzt erkannte sie ein Handgelenk mit einer Bisswunde darin. Hatte der Mann ihr sein Blut zunächst noch behutsam in den Mund geträufelt, so schien sie nun auf den Geschmack gekommen zu sein. Violet saugte wie ein ausgehungertes Tier an der offenen Wunde des Fremden und schien gar nicht genug bekommen zu können. Es war wie ein Rausch der ihre Welt ins Gegenteil verkehrte. Das Blut erquickte sie wie eine betörende Droge und schien das Leben in ihr förmlich explodieren zu lassen. Ihre Welt nahm an Schärfe zu und so schälte sich ihr Retter aus der Dunkelheit und seine Konturen nahmen langsam an Intensität zu. Sie wusste sofort, dass er etwas Besonderes war. Seine Ausstrahlung war rätselhaft und dunkel. Seine blasse Haut schimmerte im Mondschein. Dann entzog er ihr seine Hand und streichelte ihr sanft über das Gesicht. »Jetzt wird alles wieder gut«, flüsterte er mit rauer und tiefer Stimme. Sie konnte seine Worte nicht nur hören, sondern auch fühlen. Jeder Buchstabe drang wie Schallwellen der Beruhigung in sie ein und ergriff sie irgendwo tief im Kern ihrer Existenz. Ihre sterbenden Organe begannen sich zu entspannen und neues Leben floss durch ihre Adern. Mit jedem Tropfen Blut, den sie von seinem Handgelenk saugte, kehrte berauschende Energie zurück in ihren Körper. Ein Teil ihres Verstandes versuchte, zu begreifen, was hier geschah. Der andere Teil ihres Geistes wusste, dass es nichts war, was sie hätte begreifen können. Ihr sechster Sinn für das Paranormale hatte sie an diesen Ort und zu ihm geführt, das war ihr in jener Sekunde klarer, als alles andere an das sie je geglaubt hatte.   

»Ein Teil von mir ist nun in dir. Wir werden für immer verbunden sein und ich werde dir begegnen, in deinen Träumen.« Mit diesen Worten glitt er in die dunkle Nacht. Wie ein Schemen verschmolz er mit der Schwärze, aus der er geboren worden war. Violet verlor ihn aus den Augen und seine Worte halten in ihrer Seele wie die düstere und gleichzeitig erfüllende Vorahnung dessen, was da noch kommen sollte.

Und dann war alles vorbei.